Zukunftsstadt

„Als junger Architekt in den Sechzigern habe ich die Träume der Moderne noch miterlebt. Damals ist aber etwas verloren gegangen: der Bezug zu dem, was die Menschen wirklich umtreibt, was sie in der Stadt erleben wollen,“ sagt Dittmar Machule, ein deutscher Architekt, Stadtplaner und Bauforscher. Bereits 1965 hat Alexander Mitscherlich in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, die Gesichts- und Herzlosigkeit der Städte beklagt – er meinte das Gleiche: Die Stadtplaner/innen hatten die menschlichen Bedürfnisse aus dem Blick verloren, mit weitreichenden Folgen.     

Heute sehnt sich jede/r dritte Stadtbewohner/ in nach mehr Natur, Teilhabe und Gemeinschaft, nach mehr Ruhe und Entschleunigung in den Städten. Austauschbare Hochhäuser, aalglatte Bürogebäude und Einkaufsparadiese, explodierende Mietpreise vor allem aber das Verkehrschaos stehen dem entgegen. Immer mehr wird es dabei zur Gewissheit, dass  Städte als zentrale Räume in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielen werden auf dem Weg in die Zukunft. Mehr denn je, geht es deshalb darum den menschlichen Bedürfnissen wieder Raum zu verschaffen – es geht um lebenswerte Räume in der Stadt, um „Cities for People“!   

Fakt ist: Weltweit leben heute erstmals mehr als 50 Prozent aller Menschen in Städten – in Deutschland sind es sogar noch mehr. War man zunächst davon ausgegangen, dass durch Globalisierung und moderne Technologien, sich das Kommunikationsverhalten von Menschen so verändert, dass die räumliche Nähe eine immer geringere Rolle spielen wird und viele zurück auf das Land ziehen würden – so ist das Gegenteil der Fall: Die Rolle von Metropolen ist heutzutage eng verknüpft mit der Informationsgeneration, meint Edward Glaeser, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University. Dadurch, dass Wissen wertvoller wurde, wurden auch die Städte wichtiger und attraktiver. „Gerade die dichten, gemischten, ja chaotischen  Städte hätten das, was eine sich globalisierende Wirtschaft dringend brauche, nämlich Menschen mit unterschiedlichsten Talenten und vielfältigem Wissen“, sagt Saskia Sassen, Professorin der Soziologie an der Columbia University. Dies bedeutet, dass Städte es ihren Bewohner/innen erlauben, auf engsten Raum voneinander zu lernen, dass sie die Entwicklung neuer Ideen fördern. Diese Interaktion von gesellschaftlicher Intelligenz war übrigens schon immer verantwortlich für die größten Erfindungen der Menschen.

 Aufgabe ist es deshalb, bei immer schnelleren Veränderungen von Rahmenbedingungen und Anforderungen an die Stadt eine zukunftsfähige Entwicklung von Stadtquartieren zu ermöglichen. Städte müssen Ressourcen effizienter nutzen und umweltfreundlicher werden, zentrale Stadträume gestärkt und funktional ergänzt werden , damit sich die Menschen wieder wohl in ihnen fühlen und Städte auch wirtschaftlich bestehen können. Stadtentwicklung muss in diesem Sinne ganzheitlich gestaltet werden, dementsprechend sind Siedlungsstruktur, Verkehr, Umwelt und soziale Belange im Zusammenhang zu sehen (und nicht sektoral). „Wir haben zurzeit viele Leitbilder nebeneinander, aber über allem schwebt doch noch die Idee der durchmischten Stadt der kurzen Wege“ (siehe Charta von Leipzig), sagt Sabine Baumgart, Professorin für Stadt- und Regionalplanung an der TU Dortmund , die sich an den Bedürfnissen der Bewohner/innen und Nutzer/innen der Stadt in einer sich schnell verändernden Welt orientiert. Heute geht es darum, das Gewebe der Städte zu verändern, vor allem öffentlichen Räumen kommt hier eine besondere Bedeutung zu (siehe Kasten). Mit Bedacht und, auch darin sind sich viele Stadtplaner/innen einig, in Abstimmung mit den Bürgern/innen.  

Leipzig Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt

Neue innerstädtische Verkehrsachsen anzulegen ist heute nicht mehr angesagt. „Inzwischen geht es eher darum, Straßen um- oder gar rückzubauen“, sagt Wolf-Christian Strauss vom Deutschen Institut für Urbanistik. Galten in den 70er Jahren Hochstraßen noch als ultimative Verkehrslösung, um den Autoverkehr zu be schleunigen, werden sie jetzt wieder entfernt. Dass Veränderungen hier auch relativ schnell möglich und dabei gar nicht so teuer sind, zeigt uns Jan Gehl im Film THE HUMAN SCALE. Er hat einen Hauptverkehrsknotenpunkt in New York, den Times Square, in weiten Bereichen für den Durchgangsverkehr gesperrt und zur Fußgängerzone umgestaltet. Außer Fußgängern/ innen sind hier nur Radfahrer und Skater zugelassen. Das Bild mutet fast ein wenig surreal an: Da wo sich ehemals Autos Stoßstange an Stoßstange ihren Weg bahnten, lassen sich nun Menschen auf bunten Stühlen oder Liegen nieder um sich auszuruhen oder sich zu treffen. Ein ganz neues Lebensgefühl! Damit wird deutlich, dass eine Problemlösung für das Verkehrsaufkommen nicht allein in einer verträglicheren Abwicklung des Verkehrs oder in der Verlagerung auf umweltschonende Verkehrsmittel zu finden ist. Vielmehr ist eine Verringerung des Verkehrsaufkommens durch Raumplanung notwendig – wie im Falle des Times Squares geschehen. Die allgemein akzeptierte Formel zur umwelt- und stadtverträglichen Gestaltung des Verkehrs lautet daher: Verkehr vermeiden, Verkehr verlagern, Verkehr umweltverträglich gestalten. Dabei soll die Reihenfolge bewusst die Prioritäten verdeutlichen. Nicht zu vernachlässigen ist, dass die Stadt der kurzen Wege auch einfach gesünder ist – sowohl geistig als auch körperlich. Der Verhaltensökonom Daniel Kahnemann von der Harvard University fand mit seinen Mitarbeiter/ innen heraus, dass die Autofahrt zwischen Wohnort und Arbeit die tägliche Aktivität ist, die Menschen am stärksten deprimiert. Und eine Studie der University of British Columbia kam zu dem Ergebnis, dass in Stadtquartieren, die sich gut zu Fuß oder mit dem Rad durchmessen lassen, pro Kopf die Zahl der Autofahrten und damit die Luftverschmutzung zurückgeht. Ein weiterer positiver Effekt: Bewegung tut auch der Gesundheit gut.

The Human Scale, TimesSquare, copyright NFP marketing & distribution GmbH

Dass sich Stadtentwicklung in diesem Sinne nicht ohne die Beteiligung der Bewohner/innen realisieren lässt, ist weitgehend selbstverständlich. „Top-down-Planungen“, das war einmal, stellt das Deutsche Institut für Urbanistik fest. Bürgerschaftliche Beteiligung wird von den Kommunen inzwischen sogar gezielt gefördert. Diese versprechen sich davon in erster Linie eine höhere Akzeptanz von Entscheidungen, ausgewogenere Lösungen und eine größere Identifikation der Bewohner/innen mit ihrem Lebensumfeld. Nicht zuletzt sind es schließlich die Bürger/innen, die sich tagtäglich in der Stadt bewegen und deswegen für manche städtebauliche Herausforderungen wichtige Impulse geben können. Wie müssen Städte gestaltet sein, damit wir uns wieder wohl in ihnen fühlen? – eine Frage, zu der wir alle etwas beitragen können.