Stadtplanung früher

Die Wiederaufbaujahre waren durch sehr unterschiedliche Vorgehensweisen gekennzeichnet: Durch die Beseitigung der Trümmer und provisorische Instandsetzung der zerbombten Gebäude waren vielerorts Eigentümerinteressen und emotionale Beziehungen zur historischen Stadt wiedererstanden an denen nicht ohne weiteres vorbeigeplant werden konnte. In vielen westdeutschen Städten wurden so die alten Gebäude auf den alten Stadtgrundrissen rekonstruiert und tiefgreifende Veränderungen damit verhindert. In anderen Fällen nutzte man die Kriegszerstörungen aber auch zu einem radikalen Neuanfang. Hier wurden die historischen Stadtkerne grundlegend umgestaltet und im Sinne der Charta von Athen zu funktional entmischten Geschäfts und Bürozentren umgebaut. Ohne große Rücksicht auf soziale Belange oder historisch wertvolle Bausubstanz, wurden noch bestehende Straßenzüge abgerissen. Ein Prozess, der bis in die 1970er Jahre andauerte und im Nachhinein vielfach als die „zweite Zerstörung Deutschlands“ bezeichnet wurde. 

Die Charta von Athen
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Überall in Deutschland stand man jedoch vor der gleichen Herausforderung, der Wohnungsnot durch den raschen Neubau von Wohnungen zu begegnen. In vielen Städten entstanden – in Anlehnung an die Charta von Athen – so Wohnsiedlungen mit viel Grün und nur wenigen Geschossen. Diese flächenintensiven Siedlungsformen wurden vorwiegend in innenstadtnahen Lagen realisiert. Zeitgleich zu den Wiederaufbauplänen avancierte das Auto in den 50er und 60er Jahren zum Verkehrsmittel der Massen. (Verfügten 1955 immerhin schon 7,5% der Deutschen über ein Auto waren es zehn Jahre später, also 1965, schon rund doppelt so viele – ca. 16%) Schneisen für Hochstraßen und Stadtautobahnen wurden gebaut, bestehende Straßen erweitert Verkehrskreisel gebaut, Parkplätze geschaffen. Das Gesicht der Städte veränderte sich dadurch drastisch – autogerecht sollten die „neuen“ Städte sein.

Wuchsen bis dahin die Städte noch schneller als ihr Umland und die ländlichen Räume, so kam es vor allem in den Jahren zwischen 1960 und 1975 zu massiven Bevölkerungsverschiebungen – zu Lasten der Kernstädte und zu Gunsten der sie umgebenden suburbanen Räume. Ganz im Sinne der Charta von Athen wurde dem anhaltend hohen Wohnungsbedarf durch den Bau neuer, hoch verdichteter Großsiedlungen und Satellitenstädte an den Stadträndern begegnet. Ermöglicht durch die höhere Mobilität und eine bessere Infrastruktur entstanden so langsam die „Speckgürtel“ – das autofreundliche Suburbia, von wo aus die Menschen zur Arbeit pendeln sollten.

Mitte der 70er Jahre veränderten sich die Plankultur und Zielvorstellungen der Stadtplanung grundlegend. Man ging zu einer „Stadterneuerung der kleinen Schritte“ über, in der zunehmend auch ökologische Gesichtspunkte, sowie Beteiligungs- und Mitwirkungsansprüche der Bewohner/innen Raum fanden. Es wurden die urbanen Qualitäten der gründerzeitlichen Quartiere der Innenstädte wiederentdeckt, die – so sah man es jetzt – die Vorzüge städtischen Lebens (soziale und wirtschaftliche Durchmischung, kürzere Wege, geringerer Flächenverbrauch pro Einwohner/in, Energie und Ressourcen können gebündelt werden) unterstützten. Die Innenstädte sollten als Wohnort auch für die vermögendere Mittelschicht wieder attraktiv werden, nicht zuletzt auch um der Stadtflucht ins Umland entgegenzuwirken (was nur mäßig gelingen wollte) – es ging nun um eine „Revitalisierung der Innenstädte“.

Mehr als 30 Jahre lang – oft auch missinterpretiert – hat die Charta von Athen die Geometrie der Städte geprägt: begünstigt durch die Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg und die Verbreitung des Autos als Verkehrsmittel der Massen. Heute besteht, angesichts der negativen Folgen der Funktionstrennung, Einigkeit darüber, dass die Charta von Athen als Leitbild nicht mehr taugt. In den Zentren der Groß- und Universitätsstädte fehlen Wohnungen für die Zugezogenen, der Autoverkehr bringt die Städte an die Grenzen der Lebensfähigkeit, Energieeffizienz und Recycling müssen verbessert werden. Wie geht es weiter? Gibt es eine neue große Idee?