Exkurs: Mumbai - Stadt der Gegensätze

SLUMDOG MILLIONÄR spielt in einem der größten Slums der Welt: Dharavi in Mumbai. Mumbai (bis 1996 noch Bombay) ist die Wirtschaftsmetropole Indiens und mit über 18 Millionen Einwohnern/innen (inklusive Vororte – manche Quellen gehen sogar von über 21 Millionen aus) eine der bevölkerungsreichsten Metropolregionen der Welt. Wie kaum eine andere Stadt vereint Mumbai dabei Gegensätze auf engstem Raum miteinander: chaotische Zustände, unvorstellbare Armut und der Kampf ums Überleben existieren neben Überfuss, überbordendem Reichtum und Macht. Trotzdem oder gerade deswegen übt Mumbai eine nahezu magische Anziehungskraft auf die Menschen aus – immer noch strömen täglich hunderte Familien nach Mumbai. Kaum kontrollierbar scheint so die Entstehung von immer mehr Slums an den Rändern der Stadt zu sein – einige Quellen gehen sogar davon aus, dass es bereits über 2.000 davon in Mumbai geben soll.

Mumbai gilt, ähnlich wie Shanghai für China, als Sinnbild des wirtschaftlichen Aufschwungs Indiens, hat eine mächtige Finanzindustrie und mit seiner „Traumfabrik Bollywood“ eine der größten Filmindustrien der Welt. In der Stadt leben mehr Millionäre als in allen anderen indischen Städten zusammen. Etwa 30% des indischen Steueraufkommens werden allein in Mumbai erwirtschaftet. Das Mietpreisniveau in den innerstädtischen Bezirken ist vergleichbar mit Tokio und damit eines der höchsten in Asien – und weltweit. Das hat unter anderem einen dramatischen Mangel an Wohnungen für einkommensschwache Haushalte zur Folge, weshalb für viele der Traum von einem besseren Leben am Rande der Stadt endet, in einem der zahlreichen Slums. Es wird davon ausgegangen, dass über die Hälfte der Einwohner/innen Mumbais in Slums leben. Das entspricht mit ca. 10 Millionen Menschen etwa der Bevölkerung Schwedens.

Die Infrastruktur der Stadt kam – und kommt auch heute noch – dem rasanten Bevölkerungswachstum kaum hinterher. Betroffen sind nahezu alle öffentlichen Bereiche: Trinkwasserversorgung, Wohnraumangebot, Abwasserentsorgung, Gesundheitswesen, öffentlicher Verkehr, Nahrungsmittelversorgung. Gleichzeitig bilden Arm und Reich, die hier so unmittelbar nebeneinander wohnen, schon lange eine Art funktionale Einheit: Ohne all die Krankenschwestern, Kindermädchen, Köche und Haushaltsbediensteten, Boten und Kleingewerbe wie Wäschereien und Töpfereien aus den Slums wäre das Gesamtsystem Mumbai wohl nicht mehr funktionsfähig. Tatsächlich liegt in Mumbai der Anteil des informellen Dienstleistungssektors bei etwa 45%.

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SLUMDOG MILLIONÄR gibt wieder, was wir mit einem Leben im Slum verbinden: übereinander gestapelte Wellblechhütten, ein Labyrinth aus engen, dunklen Gassen, Menschengewusel, Müllberge und Toilettenmangel, Bettelmafa, Prostitution, Korruption, Gewalt und Polizeiwillkür. Vieles davon trifft auf Dharavi zu. Eingepfercht zwischen zwei zentralen Eisenbahnlinien breitet sich über knapp zwei Quadratkilometern ein Meer aus mehrstöckigen Wellblechhäuschen aus, viele Wohnungen sind kleiner als 10 Quadratmeter und beheimaten trotzdem bis zu acht Menschen. Wie viele Menschen hier tatsächlich wohnen, weiß man nicht, die Angaben schwanken zwischen 600.000 und einer Million. Sanitäre Anlagen gibt es nur wenige, Abwasser fießt über offene Kanäle in den Fluss. Die kostenpfichtigen Gemeinschaftstoiletten sind nicht besonders beliebt, weshalb die meisten Menschen ihre Notdurft in öffentlichen Bereichen erledigen. Auch Müll wird von niemandem entsorgt. Krankheiten wie Typhus und Malaria drohen deshalb jederzeit als Gefahr, die Kindersterblichkeit ist hoch.

Stellten zeitweise die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Hindus und die Brutalität der örtlichen Machthaber eine latente Gefahr dar, gilt Dharavi heute als weitestgehend sicherer Ort. Muslime und Hindus leben zwar in getrennten Bezirken, aber friedlich miteinander und der Einfuss der Mafa konnte in den letzten Jahren durch staatliche Eingriffe zurückgedrängt werden. Häusliche Gewalt gegen Frauen scheint hingegen – wie im restlichen Indien auch – nach wie vor ein akutes Problem zu sein, das erst langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drängt.

Die Reaktion auf die Darstellung Dharavis in SLUMDOG MILLIONÄR war in Indien gespalten – auf der einen Seite Stolz über acht Oskars „für Indien“, auf der anderen Seite aber auch Verärgerung über die allzu negative Darstellung des Slums. Den Begriff „Slumdogs“ – Slumhunde – empfanden viele Bewohner/innen als tiefe Beleidigung. Tatsächlich spiegeln Berichte über das „wahre Dharavi“ ein Szenario wieder, das mehr ist, als hoffnungslose Armut: Würde, Fleiß und Bildung scheinen hohes Gut zu sein in diesem Slum, der eher eine Stadt in der Stadt ist – mit Friseur, Fitness-Studio, Bäcker, Tankstellen, Geschäften, Krankenhäusern, einer Kinohütte, öffentlichen und privaten Schulen und Computerkursen. Es gibt, wenn auch zeitlich und örtlich begrenzt, Wasser und Strom, in fast jeder Hütte steht ein Fernseher. Die Mieten in Dharavi sind teuer, weshalb die, die hier leben, nicht gänzlich arm sein können. Eine Wellblechhütte in Dharavi soll 10.000 Dollar kosten, die Preise haben sich in den vergangenen 15 Jahren verzehnfacht. Tatsächlich wird der Begriff „Slum“ in Indien nicht unbedingt mit Elend gleichgesetzt, er besagt hier vorrangig, dass Menschen illegal auf Flächen wohnen, die der Stadt gehören. Tatsächlich befndet sich in Dharavi in den meisten Häusern eine Werkstatt oder ein Laden. Über 10.000 Kleinbetriebe soll es hier geben, die gemeinsam einen geschätzten Jahresum-satz von über 650 Millionen Dollar erwirtschaften und in die ganze Welt exportieren. In den zahlreichen Lederwerkstätten, Töpfereien, Kartonage-Fabriken, Goldschmieden und Nähereien herrscht rund um die Uhr Betriebsamkeit. Dharavi ist aber vor allem eines: ein gigantischer Recyclinghof. Plastikmüll aus Mumbai und darüber hinaus wird hier nach Farbe und Qualität sortiert, gewaschen, geschreddert und zu Pellets gepresst, die dann an Firmen in aller Welt verkauft und weiterverwendet werden.

SLUMDOG MILLIONÄR gibt wieder, was wir mit einem Leben im Slum verbinden: übereinander gestapelte Wellblechhütten, ein Labyrinth aus engen, dunklen Gassen, Menschengewusel, Müllberge und Toilettenmangel, Bettelmafa, Prostitution, Korruption, Gewalt und Polizeiwillkür. Vieles davon trifft auf Dharavi zu. Eingepfercht zwischen zwei zentralen Eisenbahnlinien breitet sich über knapp zwei Quadratkilometern ein Meer aus mehrstöckigen Wellblechhäuschen aus, viele Wohnungen sind kleiner als 10 Quadratmeter und beheimaten trotzdem bis zu acht Menschen. Wie viele Menschen hier tatsächlich wohnen, weiß man nicht, die Angaben schwanken zwischen 600.000 und einer Million. Sanitäre Anlagen gibt es nur wenige, Abwasser fießt über offene Kanäle in den Fluss. Die kostenpfichtigen Gemeinschaftstoiletten sind nicht besonders beliebt, weshalb die meisten Menschen ihre Notdurft in öffentlichen Bereichen erledigen. Auch Müll wird von niemandem entsorgt. Krankheiten wie Typhus und Malaria drohen deshalb jederzeit als Gefahr, die Kindersterblichkeit ist hoch.

Stellten zeitweise die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Hindus und die Brutalität der örtlichen Machthaber eine latente Gefahr dar, gilt Dharavi heute als weitestgehend sicherer Ort. Muslime und Hindus leben zwar in getrennten Bezirken, aber friedlich miteinander und der Einfuss der Mafa konnte in den letzten Jahren durch staatliche Eingriffe zurückgedrängt werden. Häusliche Gewalt gegen Frauen scheint hingegen – wie im restlichen Indien auch – nach wie vor ein akutes Problem zu sein, das erst langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit drängt.

Die Reaktion auf die Darstellung Dharavis in SLUMDOG MILLIONÄR war in Indien gespalten – auf der einen Seite Stolz über acht Oskars „für Indien“, auf der anderen Seite aber auch Verärgerung über die allzu negative Darstellung des Slums. Den Begriff „Slumdogs“ – Slumhunde – empfanden viele Bewohner/innen als tiefe Beleidigung. Tatsächlich spiegeln Berichte über das „wahre Dharavi“ ein Szenario wieder, das mehr ist, als hoffnungslose Armut: Würde, Fleiß und Bildung scheinen hohes Gut zu sein in diesem Slum, der eher eine Stadt in der Stadt ist – mit Friseur, Fitness-Studio, Bäcker, Tankstellen, Geschäften, Krankenhäusern, einer Kinohütte, öffentlichen und privaten Schulen und Computerkursen. Es gibt, wenn auch zeitlich und örtlich begrenzt, Wasser und Strom, in fast jeder Hütte steht ein Fernseher. Die Mieten in Dharavi sind teuer, weshalb die, die hier leben, nicht gänzlich arm sein können. Eine Wellblechhütte in Dharavi soll 10.000 Dollar kosten, die Preise haben sich in den vergangenen 15 Jahren verzehnfacht. Tatsächlich wird der Begriff „Slum“ in Indien nicht unbedingt mit Elend gleichgesetzt, er besagt hier vorrangig, dass Menschen illegal auf Flächen wohnen, die der Stadt gehören. Tatsächlich befndet sich in Dharavi in den meisten Häusern eine Werkstatt oder ein Laden. Über 10.000 Kleinbetriebe soll es hier geben, die gemeinsam einen geschätzten Jahresum-satz von über 650 Millionen Dollar erwirtschaften und in die ganze Welt exportieren. In den zahlreichen Lederwerkstätten, Töpfereien, Kartonage-Fabriken, Goldschmieden und Nähereien herrscht rund um die Uhr Betriebsamkeit. Dharavi ist aber vor allem eines: ein gigantischer Recyclinghof. Plastikmüll aus Mumbai und darüber hinaus wird hier nach Farbe und Qualität sortiert, gewaschen, geschreddert und zu Pellets gepresst, die dann an Firmen in aller Welt verkauft und weiterverwendet werden.


Die Arbeitsbedingungen sind in vielen dieser Betriebe für uns schwer vorstellbar: In dunklen, stickigen Räumen wird im Akkord gearbeitet, nicht selten sieben Tage die Woche, ohne Schutzkleidung oder Atemmasken gegen die giftige Dämpfe." Bereits in den 90er Jahren hat es einige Initiativen gegeben, unter anderem der UNO und der Weltbank, Dharavi umfassend zu „sanieren“. Sie scheiterten allesamt an ungeklärten Eigentumsverhältnissen, fragmentierten Zuständigkeiten, quasifeudalen Verhältnissen, Bürokratie und am Widerstand der Menschen in Dharavi. Denn: Der Baugrund, auf dem Dharavi steht, gilt als Sahnestück Mumbais. So zentral gelegen, mit direktem Bahnanschluss, könnten hier Traummieten verlangt werden.

Seit 1994 sorgen vor allem die Sanierungspläne des indischen Architekten Mukesh Mehta für Diskussionsstoff. Hat er einst in New York Häuser für die Oberschicht geplant, meint er nun, den Masterplan für die Slums der Welt entwickelt zu haben. „Public Private Partnership“ heißt für ihn die Zauberformel, mit der eine dreifache win-win-Lösung erzielt werden soll: Der Staat verkauft den wertvollen Baugrund Dharavis an private Unternehmen. Diese bekommen die Auflage, auf einem Teil der Fläche Hochhäuser für die ehemaligen Slumbewohner/innen zu bauen, in denen diese kostenfrei wohnen können – auf ca. 28 Quadratmetern pro Familie. Der Slum würde so „in die Vertikale“ gebaut und der Lebensstandard durch Wasser, Strom und sanitäre Einrichtungen erhöht. Auf dem verbleibenden Baugrund könnten dann Straßen, Parks und luxuriöserer Wohnraum errichtet und verkauft oder vermietet werden, was auch die Gratiswohnungen für die Slumbewohner/innen mitfnanzieren würde. 

Die Regierung ist von Mehtas Vision und Argumenten überzeugt und hat bereits mit der Umsetzung begonnen. Doch die Bewohner/innen Dharavis machen sich Sorgen: Zu oft schon wurden Versprechungen nicht eingehalten, Bauvorhaben mittendrin gestoppt und am Ende gab es keine ausreichenden Entschädigungen für den Verlust von Wohnraum und Arbeitsplatz. In den Plänen für das neue Dharavi sind zwar neue Produktionsstätten enthalten, doch nur für „nicht-verschmutzende“ Industrien – und zu welchem Mietpreis? Wie wird es in den Übergangslagern sein, in die die Slumbewohner/innen zwischen Abriss und Neubau ziehen müssen? Was wird aus dem engen Nachbarschaftsnetz, das sozialen Halt spendet genauso wie soziale Kontrolle? Zudem sollen nur jene Bewohner/innen eine Wohnung erhalten, die nachweisen können, schon vor dem Jahr 2000 im Slum gewohnt zu haben. Offzielle Dokumente sind in Dharavi jedoch Mangelware …