Phoenix aus der Asche

GÖTTLICHE LAGE ist ein Lehrstück über den Strukturwandel im Ruhrgebiet und damit ebenso zukunftsweisend wie erschreckend. Der Dokumentarfilm macht überdeutlich, vor welchen Schwierigkeiten eine Stadtplanung steht, die versucht, es allen Recht zu machen: den Anwohnern/innen, die schon seit Generationen hier leben und den Untergang einer Großindustrie miterlebt haben, den „Neuen“, die viel Geld dafür ausgeben, um es am Wasser nett zu haben, der lokalen Wirtschaft, die auf neue Kaufkraft angewiesen ist und nicht zuletzt der Natur, die zwar natürlich in ihrer Vielfalt, jedoch nicht zu wild sein soll. Über die Herausforderungen, so viele unterschiedliche Ansprüche in der Stadtplanung erfolgreich zu integrieren, grübeln Wissenschaftler/innen, Stadtplaner/innen und Architekten/innen auf der ganzen Welt: Strukturwandel findet nicht nur im Ruhrgebiet statt.  

Strukturwandel

Die Art, wie Menschen weltweit arbeiten und leben, hat sich seit jeher in Wellen verändert. Jede große Erfindung hat ganze Wirtschaftszweige revolutioniert: von der Dampfmaschine (1780) über die Eisenbahn (1840), Elektrizität (1890) und das Auto (1949) bis hin zum Computer (1980) und den neuen Kommunikationstechnologien. Ein Strukturwandel – also die Umbrüche, die sich daraus immer wieder auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft ergeben – verläuft dabei stets nach einem ähnlichen Muster: von der Agrar- zur Industrie- und schließlich zur Dienstleistungsgesellschaft (der so genannte sektorale Strukturwandel). Angesichts der wachsenden Bedeutung von Informations- und Kommunikationstechnologien spricht man auch vom Umbruch zur Informationsgesellschaft. Dabei befinden sich – je nach Entwicklungsstand – unterschiedliche Länder in unterschiedlichen Phasen. Durch internationale Arbeitsteilung, den globalen Wettbewerb und den rasanten technischen Fortschritt kommt es zu wechselseitigen Einflüssen: Die aufstrebenden Ökonomien der so genannten Entwicklungsund Schwellenländer übernehmen immer größere Anteile der globalen Wertschöpfung, was auch in den entwickelten Ländern zu Umbrüchen führt: weg vom produzierenden Gewerbe, hin zur Dienstleistungs- und Informationsgesellschaft. Besonders hart vom Strukturwandel betroffen sind jene Gebiete, die sich in den Hochzeiten einer „Welle“ auf einen Bereich spezialisiert haben – wie zu industriellen Zeiten das Ruhrgebiet. Im 19. Jahrhundert wurde es zu einem florierenden industriellen Ballungsraum: Viele fanden Arbeit in der Kohleförderung und in der Stahlverarbeitung. In Zeiten des „Wirtschaftswunders“ war Kohle und Stahl für den Aufbau von Industrieanlagen und Wohnungen gefragt. Doch Ende der 1950er Jahre ließ sich die Kohlekrise nicht mehr abwenden: Im Vergleich zu Importkohle von Billiganbietern aus China, den USA oder Kanada war die Ruhrkohle zu teuer geworden oder wurde gleich durch Erdöl ersetzt. Nun blühten Regionen auf, die sich auf neue, moderne Wirtschaftszweige konzentrierten, wie die Automobilindustrie oder die Elektrotechnik  – zum Beispiel in Süddeutschland. Im Ruhrgebiet kam es jedoch zu Massenentlassungen, viele Zechen und Stahlwerke wurden stillgelegt. Schon 1966 arbeiteten nur noch die Hälfte der Beschäftigten in Bergbau und Stahlindustrie – 150 Jahre Montanindustrie neigten sich dem Ende zu. Damit stand die ganze Region vor der großen Aufgabe, sich selbst komplett neu erfinden zu müssen.  

Göttliche Lage, copyright filmproduktion loekenfranke gbr

Als man im Ruhrgebiet anfing, sich dieser Tatsache zu stellen, wurde deutlich, was in Zeiten des Kohleabbaus alles vernachlässigt worden war: neben Kultur und Landschaftspflege vor allem der Aufbau einer qualifizierenden Bildungslandschaft. Deshalb fehlten im Ruhrgebiet zu Beginn des wirtschaftlichen Umbruchs Hochschulen und Fachhochschulen. Denn generell gilt: Je weiter der Strukturwandel fortschreitet, umso höher wird der Bedarf nach Bildung.
In den 1960ern hat man deshalb begonnen, den regionalen Strukturwandel aktiv zu gestalten und dem Ruhrgebiet ein neues Gesicht zu geben: Mit dem Ziel, junge Familien und Studierende anzuziehen und damit die Region vor der Überalterung zu bewahren, wurden Schulen und Universitäten aus- und aufgebaut – wie die Ruhr-Universität Bochum und die Universität Dortmund. Gleichzeitig wurden, um die Attraktivität als Wohnraum zu erhöhen, S-Bahn- und Straßennetze ausgebaut und alte Gebäude und Straßenzüge abgerissen oder renoviert. Auch das industrielle Erbe sollte bewahrt werden, was 1998/1999 vor allem durch die „Internationale Bauausstellung Emscherpark“ vorangetrieben wurde: Viele der besonders eindrucksvollen Gebäude aus der industriellen Ära wurden im Laufe der Zeit in Museen oder Ausstellungshallen umgewandelt, wie zum Beispiel die Henrichshütte in Hattingen, der Gasometer in Oberhausen oder die Zeche Zollverein, die mittlerweile zum UNESCO Weltkulturerbe zählt.

Die Natur war in vielen Bereichen durch den Kohleabbau zersiedelt und zerstört. Deshalb sollten nun vernachlässigte Seen und Brachflächen in Erholungsgebiete umgewandelt und zersiedelte Landschaftsabschnitte zu einem Grünstreifen verbunden werden. Dabei kam zugute, dass Natur während der Kohleära nicht nur zerstört, sondern auch geschützt worden war: Im Ruhrgebiet bestand bereits eine außergewöhnlich lange Tradition der „Freiraumsicherung“: Bereits vor 100 Jahren wurde damit begonnen, Freiräume über die Stadt- und Regionalplanung vor einer weiteren Inanspruchnahme für die industrielle Nutzung zu schützen. Gleichzeitig sollten auf diese Weise Erholungsräume für die Menschen im Ruhrgebiet geschaffen werden, die in Zeiten der Schwerindustrie teils unmittelbar neben den Hochöfen der Stahlwerke wohnten. Dadurch war ein grünes Fundament vorhanden. Darauf aufsetzend konnte die „postindustrielle“ Landschaft im Ruhrgebiet umfassend vernetzt und gestaltet werden.

Auf dem Arbeitsmarkt etablierten sich nach und nach neue Arbeitsfelder. In der Automobilindustrie, in der Internet- und Telekommunikationsbranche, Logistik, Dienstleistung und allen voran: im Gesundheitswesen – mittlerweile hat das Ruhrgebiet die höchste Klinikdichte in Deutschland! So konnten, während zwischen 1980 und 2002 ca. die Hälfte der eine Million Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe verloren gingen, etwa 300.000 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen werden. Das ist ein erfreulicher Schritt, bedeutet aber nach wie vor, dass durch den Strukturwandel tausende von Arbeitsplätzen verloren gegangen sind.