Stadtkinder

Der schönste Spielplatz für Johanna und Mathias ist der Botanische Garten, in dem sie wohnen und aufwachsen. Hier können sie herumstreunen und sich ausprobieren – hier sind sie frei!

Der blaue Tiger, copyright farbfilm verleih

Das, was in dem Film DER BLAUE TIGER für die Stadtkinder Johanna und Mathias ganz selbstverständlich ist – in ihrem Wohnumfeld herumzustreifen und eigene Erkundungen anzustellen –  ist für viele Stadtkinder heute kaum mehr vorstellbar.

Räume oder Freifächen, die zum Erkunden, Herumstreunen und freiem Spiel einladen, sind in Städten rar geworden. Ihnen wurde im Zuge der Spezialisierung und Ökonomisierung von Stadträumen oftmals eine neue Funktion zugedacht. So zu sehen auch im Film DER BLAUE TIGER: Der Bürgermeister Nörgel will den Botanischen Garten abreißen und an gleicher Stelle einen futuristischen Vergnügungspark errichten lassen. Räume in ihrer Funktion als kindliche Frei- und Bewegungsräume wurden und werden so versiegelt, mit Regeln versehen und eingeschränkt. Unbeaufsichtigt draußen im unmittelbaren Wohnumfeld zu spielen, ist für Kinder immer weniger möglich. Nicht zuletzt macht der zunehmende Verkehr das Spielen auf Straßen, Gehwegen und Plätzen sowie eine eigenständige Mobilität auch oft einfach zu gefährlich. In Zahlen: Gab es 1970 noch genauso viele Autos wie Kinder, gibt es heute rund viermal so viele Autos.

Kinderrechtskonvention

Für viele Stadtkinder ist an die Stelle bewegungsreicher Aktivitäten draußen deshalb oftmals das Spielen im Kinderzimmer oder die Beschäftigung mit dem Computer getreten. Gleichzeitig  – oder gerade deswegen?! – wird der Alltag von Kindern zunehmend organisiert. Schule, Nachmittagsbetreuung, Sportverein, Verabredungen – Eltern bringen ihre Kindern,nicht selten im Auto, zwischen diesen einzelnen Orten hin und her. Proteste gegen „Kinderlärm“ – auch wenn sich hier in den vergangen Jahren viel getan hat – tun schließlich ein Übriges, um Kinder aus urbanen Räumen zu verdrängen. Wenn auch der "Lärm", der von Kintertagesstätten ausgeht, nicht mehr als solcher angesehen werden darf, so trifft dies leider noch nicht auf Spielgeräusche von z.B. Jugendlichen auf Bolzplätzen zu. Hier gibt es noch immer viele nachbarschaftliche Beschwerden.

Studien belegen, dass diese Entwicklungen Auswirkungen auf die Lebensqualität von Stadtkindern haben. „Es gibt kaum einen Faktor, der den Alltag und die Entwicklung von Kindern mehr beeinfusst, als die räumliche Gestaltung des Wohn  umfeldes und die damit verbundenen Möglichkeiten zum freien Spiel.“ (Freiburger Kinderstudie) Ein ungünstiges Wohnumfeld steht dem kindlichen Bedürfnis nach Selbständigkeit und neuen Erfahrungen im Wege. Das sind die zentralen Aussagen der 1993 und 2013 durchgeführten Studien des Freiburger Instituts für angewandte Sozialwissenschaften e.V. zu Aktionsräumen von Kindern.

Kinder selbst beklagen das Fehlen von attraktiven Spielräumen in Städten. Jedes fünfte Kind gibt sogar an, in seiner Umgebung wenig oder gar nicht spielen zu können wie es möchte –  zu diesem Ergebnis kommt das LBS Kinderbaro meter (2013). Das Thema der Spielmöglich keiten und Wohnumfeldbedingungen von Kindern bleibt also aktuell und das obwohl in den  vergangenen Jahren und Jahrzehnten bereits eine Vielzahl von Initiativen z.B. zur Verkehrsberuhigung oder der Umbau von Spielplätzen in Angriff genommen wurden. Übrigens: Insbesondere vor dem Hintergrund des demografschen Wandels und schrumpfender Städte erhält der Anspruch einer kinder- und   familienfreundlichen Stadtentwicklung besondere Bedeutung. Städte, Gemeinden und Landkreise werden umso zukunftstauglicher sein, je besser es ihnen gelingt, Kindern und Jugendlichen beste Start- und Entwicklungschancen zu bieten.

 
Die Stadt in Kinderhänden

Warum?

Als Teil der Gesellschaft haben Kinder und Jugendliche ein Recht dazu, mitreden, mitmischen, mitgestalten und mitmachen zu dürfen. Das gilt auch und insbesondere für Stadtentwicklungsprozesse – schließlich sind auch Kinder und Jugendliche Experten/innen ihres Stadtgebiets. Ihre Meinungen und Ideen sollten bei der Gestaltung öffentlicher Räume unbedingt gehört und berücksichtigt werden, so die Forderung verschiedener Initiativen zur Kinder- und Jugendbeteiligung im öffentlichen Raum. Neuere Ansätze gehen sogar noch ein bisschen weiter: Sie gehen davon aus, dass junge Menschen wesentlich zu einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung beitragen können, indem sie selbstbestimmt und in eigener Verantwortung Projekte planen und durchführen.

Methoden:

Zukunftswerkstatt, Planungszirkel, Modellbau, Erfnderspiele, Ortsbegehungen mit Kindern, Fotoreportage, Videostreifzüge, Mal- und Zeichenaktionen, Collagen, Phantasiereisen, Stadt(teil)führungen, Platz-, Freifächen-, Wege-, und Raumgestaltung, Wahl eines Kinderstadtrates

Beispiele/ Projekte:

HINGUCKER! ist ein Projekt des Vereins Jugend Architektur Stadt e.V., das vom BMBF gefördert wird. Bei „Hingucker“ geht es darum, Gestaltungs- und Nutzungswünsche von Kindern und Jugendlichen im öffentlichen Raum sichtbar zu machen und Impulse für die Umsetzung ihrer Wünsche und Ideen zu geben. Mehr Informationen fnden Sie hier: www.hingucker-jas.de „Jugend.Stadt.Labore“ sind Räume für Jugendliche von Jugendlichen, die über ihre Städte diskutieren und diese aktiv mitgestalten wollen. Deutschlandweit gibt es mittlerweile acht dieser   Labore, die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit fnanziert werden. Mehr Informationen u.a. auch zu den einzelnen Projekten der Labore fnden Sie hier: www.jugend-stadt-labor.de